Die bayerische Wirtschaft

Deutschland hat Zukunft

Kongress Aktionsrat Bildung 2023

Bildung und berufliche Souveränität

Wann fängt eigentlich Berufsorientierung an?

Bereits im Kindergarten

Berufliche Bildung und Berufsorientierung scheinen auf den ersten Blick als Komponenten früher Bildung und früher Bildungssysteme etwas weit hergeholt. Fasst man diese Begriffe aber weiter, so wird bei einer Reflexion des Bildungsauftrags in den ersten sechs Lebensjahren schnell deutlich, dass in dieser Bildungsphase implizit wichtige Grundlagen für die spätere Berufswahl und Berufskarrieren gelegt werden.

Das Ziel ist die Entwicklung grundlegender Kompetenzen im Sinne eines breiten Bildungsverständnisses, aber auch die Stärkung von Persönlichkeit und motivationaler Voraussetzungen für unterschiedliche Tätigkeitsfelder. Das ganzheitliche Bildungsverständnis sieht die Förderung eines komplexen Spektrums an Fähigkeiten vor, wie z. B. kognitive, sprachliche, mathematische, musische, motorische, naturwissenschaftliche und sozioemotionale Fähigkeiten.

In dem Ausmaß, in dem spezifische Fähigkeiten Voraussetzungen für das Ergreifen spezifischer Berufe sind, lässt sich argumentieren, dass eine ganzheitliche Förderung von Kompetenzen bereits im vorschulischen Alter auch den Grundstein für die Berufsorientierung legt, da so die Entwicklung eines positiven Bildes von unterschiedlichen beruflichen Tätigkeiten gefördert wird und allen Kindern später im Jugend- und Erwachsenenalter ein möglichst breites Spektrum an Berufen zur Auswahl zur Verfügung steht.

Mehr dazu im Gutachten ab S. 69.

Gibt es ein Geheimnis für die erfolgreiche Berufsfindung?

Berufsorientierung – ein Leben lang!

Eine gut ausgebaute und professionelle berufsorientierte Weiterbildung ist eng verknüpft mit einer lebensbegleitenden Bildungs- und Berufsberatung. Die zunehmende Notwendigkeit, sich beruflich immer wieder neu zu orientieren, der demografische Wandel, der Fachkräftemangel am Arbeitsmarkt und die wachsende Mobilität als Antwort auf die Globalisierung sind dabei nur einige Stichworte, die dies deutlich machen.

Für bereits Erwerbstätige, deren berufliche Tätigkeiten durch sinkende Nachfrageentwicklungen betroffen sind, besteht die entscheidende Herausforderung im Re-Skilling, also im Erwerb neuer Qualifikationen. Diese versetzen die Erwerbstätigen in die Lage, neue Möglichkeiten am Arbeitsmarkt erfolgreich zu ergreifen. Damit wird die Aufgabe des lebenslangen Lernens aus ökonomischer Perspektive zentral, weil berufliche Weiterbildung und Umschulung als Königsweg im Umgang mit dem Strukturwandel der Wirtschaft und dem Problem des Mismatch am Arbeitsmarkt gesehen werden können. Souveräne Entscheidungen bedeuten in diesem Fall eine berufliche Umorientierung, die die Chancen des Re-Skilling ergreifen – eine Aufgabe, die sich aus individueller, betrieblicher und staatlicher Sicht ergibt.

Mehr zu beruflicher Souveränität und Orientierung durch Weiterbildung im Gutachten ab S. 205.

Schülerpraktika an Gymnasien – ein Fremdwort?

Leider noch viel zu oft

Ein Blick, differenziert nach den Schularten, ergibt interessante Einblicke: Während die befragten Jugendlichen an den Haupt-, Real- und Gesamtschulen zu 95 Prozent angaben, dass sie zum Ende der Sekundarstufe I ein Praktikum absolviert haben, sind es an den Gymnasien nur 55 Prozent.

Folgende Tabelle zeigt, inwieweit Praktika in die jeweiligen Schularten in Bayern eingebunden sind:

Das Bundesland Bayern ist ein Beispiel dafür, dass Berufsorientierung sehr stark in Abhängigkeit von der jeweiligen Schulart gesehen wird. Am stärksten wird dabei die Berufsorientierung an der Mittel- und Realschule betont. Im Gymnasium findet die am wenigsten verbindliche und differenzierte Verankerung der Berufsorientierung statt.

Der Aktionsrat Bildung fordert in seinem Gutachten: Praktika sollen stärker als bisher verpflichtend in Curricula eingebaut und Plätze durch die Bildungseinrichtungen vermittelt werden. Zu diesem Zweck müssen Bildungseinrichtungen Kooperationen mit Unternehmen aufbauen und die Rahmenbedingungen von Praktika für diese möglichst attraktiv gestalten. Darüber hinaus müssen die Bildungseinrichtungen in Zusammenarbeit mit Betrieben gewährleisten, dass im Rahmen der angebotenen Praktika qualitativ hochwertige Lernerfahrungen zur Verfügung gestellt werden. Diese müssen zudem im Unterricht unter Berücksichtigung pädagogischer und fachspezifischer Konzepte vor- und nachbereitet werden. Von den Lernenden muss für den gesamten Prozess der Gestaltung der eigenen Lernerfahrung (von der Suche nach einem geeigneten Praktikumsplatz über die Bewerbung bis zur Vor- und Nachbereitung) auch eine altersangemessene Eigenverantwortlichkeit eingefordert werden.

Mehr zu Schülerpraktika und Informationen zu der Rolle der Eltern im Gutachten ab S. 116ff.

Das Best-of des Kongresses 2023

Gutachten 2023

Bildung und berufliche Souveränität

Im Gutachten geht der Aktionsrat Bildung der Frage nach, welche Konzepte und Strategien dazu beitragen können, sowohl die Teilnehmer*innen von Bildungsmaßnahmen als auch die Bildungseinrichtungen bei der Entwicklung von beruflicher Souveränität zu unterstützen.

 

Die Vorträge zur Vorstellung des Gutachtens 2023

Psychologische Perspektive

Prof. Dr. Bettina Hannover

Leiterin des Arbeitsbereichs Schul- und Unterrichtsforschung im Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie, Freie Universität Berlin

Berufliche Souveränität in der Frühen Bildung, Primar- und Sekundarschule

Prof. Dr. Nele McElvany

Geschäftsführende Direktorin des Institutes für Schulentwicklungsforschung, Technische Universität Dortmund

Berufliche Souveränität in der Hochschule und Weiterbildung

Prof. Dr. Monika Jungbauer-Gans

Wissenschaftliche Geschäftsführerin des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW)

Zusammenfassung des Kongresses am 03.05.2023

vbw Präsident Wolfram Hatz eröffnete die Veranstaltung und betonte die Bedeutung einer frühzeitigen, altersgerechten und fächerübergreifenden Studien- und Berufsorientierung. Weiterhin erklärte er: „Die Jugendlichen müssen sich mit der Berufswelt auskennen, sich frühzeitig mit ihren Talenten auseinandersetzen und vor allem auch ausprobieren, was sie interessiert. Jede und jeder Einzelne braucht in allen Bildungsphasen immer wieder die Perspektive auf eine erfüllende berufliche Laufbahn.“

Im Anschluss führte Prof. Dr. Dr. h. c. Dieter Lenzen, Präsident der Universität Hamburg und Vorsitzender des Aktionsrats Bildung, in seinem Vortrag „Bildungsauftrag berufliche Souveränität“ in die Inhalte des Gutachtens ein. Unter beruflicher Souveränität verstehe der Aktionsrat Bildung die Möglichkeit einer Person, ihre Berufswahl und Berufsausübung selbstbestimmt und kompetent zu vollziehen.

Berufliche Souveränität als Entwicklungsziel

Berufliche Souveränität bezeichnet die Möglichkeit einer Person, ihre Berufswahl und -ausübung selbstbestimmt und kompetent zu vollziehen. Berufliche Souveränität ist ein Entwicklungsziel für jeden Menschen. In ihren Vorträgen präsentierten die Mitglieder des Aktionsrats Bildung geeignete Maßnahmen zur Steigerung der beruflichen Souveränität der Bildungsteilnehmer*innen in den einzelnen Bildungsphasen. Auch die Rolle der Bildungseinrichtungen und des Bildungssystems wurden thematisiert.

Die Inhalte des Gutachtens wurden von weiteren Mitgliedern des Aktionsrats Bildung vorgestellt: Die psychologischen Hintergründe der beruflichen Souveränität erläuterte Prof. Dr. Bettina Hannover, Leiterin des Arbeitsbereichs Schul- und Unterrichtsforschung im Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie an der Freien Universität Berlin.

Prof. Dr. Nele McElvany, Geschäftsführende Direktorin des Institutes für Schulentwicklungsforschung an der Technische Universität Dortmund, ging auf die Bedeutsamkeit von Potenzialen in der Frühen Bildung durch die Schaffung entsprechender motivationaler Grundlagen ein und betonte die Entwicklung von Wissen über Berufstätigkeit und Berufe. Anschließend benannte sie für den Primar- und Sekundarbereich die maßgeblichen Entwicklungsprozesse für die Berufsorientierung in späteren Lebensphasen.

Die zentralen Herausforderungen für die Hochschule und Weiterbildung wurden von Prof. Dr. Monika Jungbauer-Gans, wissenschaftliche Geschäftsführerin des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), vorgestellt.

Befähigung zur beruflichen Souveränität

Im Rahmen einer Gesprächsrunde diskutierten Vertreter*innen aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft zentrale Ergebnisse und Empfehlungen der Studie. Im Mittelpunkt der Gesprächsrunde stand die Frage, welche Konzepte und Strategien dazu beitragen können, sowohl auf individueller als auch auf der Ebene der Bildungseinrichtungen die Entwicklung beruflicher Souveränität zu stärken.

Die Schwerpunkte der Diskussion fanden sich auch im digitalen Grußwort von Prof. Alexander R. Lorz, Mitglied des Präsidiums der KMK, wieder, das im Rahmen der Veranstaltung gezeigt wurde: Berufliche Orientierung muss so früh wie möglich und praxisorientiert erfolgen sowie auf die persönlichen Neigungen der Schülerinnen und Schüler eingehen. Es bedarf hochwertiger, längerer Berufspraktika in der Sekundarstufe und mehr Freiraum in den Schulen für die Umsetzung beruflicher Orientierung.
Der bayerische Staatsminister für Unterricht und Kultus, Prof. Dr. Michael Piazolo, betonte, dass neben individueller Ausbildungsreife, Berufswahlbereitschaft und -kompetenz auch die Freude am Beruf einen wesentlichen Bestandteil für eine erfolgreiche Berufswahl bilde.

Vortragende und Podiumsteilnehmer*innen

  • Dr. Christof Prechtl, stellv. Hauptgeschäftsführer, vbw – Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V.
  • Prof. Dr. Dr. h.c. Dieter Lenzen, Vorsitzender des Aktionsrats Bildung, Universitätspräsident a. D.
  • Prof. Dr. Bettina Hannover, Leiterin des Arbeitsbereichs Schul- und Unterrichtsforschung im Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie, Freie Universität Berlin
  • Prof. Dr. Monika Jungbauer-Gans, Wissenschaftliche Leiterin des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW)
  • Prof. Dr. Nele McElvany, Technische Universität Dortmund, Geschäftsführende Direktorin des Instituts für Schulentwicklungsforschung (IFS)
  • Prof. Dr. Ludger Wößmann, Professor für Volkswirtschaftslehre, Ludwig-Maximilians-Universität München, Leiter des ifo Zentrums für Bildungsökonomik
  • Astrid-Sabine Busse, Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Berlin
  • Prof. Dr. Michael Piazolo, Bayerischer Staatsminister für Unterricht und Kultus
  • Jürgen Böhm, Vorsitzender des deutschen Realschullehrerverbandes, München
  • Nedjmije Bajrami, Fachkoordinatorin für Inneres, Bundesschülerkonferenz, Berlin

Stimmen aus der Praxis

Für junge Menschen ist der Lernort Schule von großer Bedeutung für die Unterstützung im Erwerb beruflicher Souveränität. In qualitativ hochwertiger Weise müssen sie die Möglichkeit erhalten, berufsbezogen ihre individuellen Stärken zu explorieren, zu identifizieren und weiterzuentwickeln. Im Rahmen des Kongresses wurden drei Schulen vorgestellt, die für ihr qualitätszentriertes Engagement und die Förderung der Schülerinnen und Schüler auf deren Weg zu beruflicher Souveränität ausgezeichnet wurden.

Krötensee-Mittelschule, Sulzbach-Rosenberg

Lloyd Gymnasium, Bremerhaven

Axel-Bruns-Schule, Celle

ab 29.04.2020

Bisherige Veröffentlichungen

Seit 2005 bewerten die Mitglieder des Aktionsrates Bildung die gegenwärtige Situation im deutschen Bildungssystem auf Basis von umfassenden Expertisen. Lernen Sie die Mitglieder und die Aktivitäten seit Gründung des Aktionsrates jetzt kennen.