Die bayerische Wirtschaft

Deutschland hat Zukunft

Kongress Aktionsrat Bildung 2025

Bildungsleistung durch Verbindlichkeit

Werden die Schüler*innen immer weniger leistungsbereit?

Im gesellschaftlichen Diskurs ist die Vorstellung verblasst, nach der ein erfolgreiches Bildungssystem wechselseitige Verbindlichkeit zwischen Staat und Individuum voraussetzt: Der Staat hat gegenüber dem Individuum eine Fürsorge- und Angebotspflicht, hat also für ein qualitätsvolles Bildungssystem Sorge zu tragen und darüberhinausgehend Maßnahmen zu ergreifen, um Benachteiligungen zu kompensieren, die Individuen aufgrund ihrer Lernvoraussetzungen und Lebensumstände mitbringen können. Umgekehrt haben aber auch das Individuum bzw. die Lernenden mit zunehmendem Alter oder die für es Verantwortlichen (z. B. die Eltern) die Pflicht, die bereitgestellten Chancen engagiert und selbsttätig zu nutzen.

Es muss deshalb aus psychologischer Perspektive analysiert werden, was die Gründe dafür sind, dass heute im gesellschaftlichen Diskurs der Fokus stärker auf die Pflichten des Staates als auf die Pflichten des Individuums gerichtet ist. Dabei sind drei Thesen zu diskutieren: Die erste These lautet, dass gesunkene Leistungsanforderungen im Bildungssystem und die erhöhte Durchlässigkeit des Bildungssystems sowie seine föderale Struktur dazu beitragen, dass Verbindlichkeiten für das lernende Individuum gesunken sind – mit ambivalenten Folgen für seine psychologische Situation. Die zweite These besagt, dass eine veränderte gesellschaftliche Werteorientierung ihren Ausdruck in einer stärkeren Betonung individueller Rechte und Bedürfnisse und einer abnehmenden Bedeutung von an bestimmte Rollen gebundenen Erwartungen oder Pflichten des Individuums findet. Und schließlich wird in einer dritten These argumentiert, dass Erziehungspraktiken immer stärker darauf abzielen, das Individuum zu befähigen, seine eigenen Bedürfnisse und Rechte zu erkennen und ihnen zu folgen – bei gleichzeitig abnehmender Bedeutung von Erziehungszielen, die auf die Wahrnehmung von Pflichten gerichtet sind.

Mehr dazu im Gutachten auf S. 38 ff.

Warum können so viele Kinder bei der Einschulung kaum Deutsch?

Der verbindlichen Entwicklung sprachlicher Fähigkeiten in Kindertageseinrichtungen kommt für die gesamte weitere Entwicklung, Bildungskarriere und Integration eine besondere Bedeutung zu. Fehlende sprachliche Kompetenzen in der Bildungssprache Deutsch werden auch als zentrale Ursache der Bildungsbenachteiligung von Kindern mit einer anderen Familiensprache als Deutsch angesehen. Vor diesem Hintergrund sind sowohl verbindliche Qualitätsstandards der alltagsintegrierten sprachlichen Bildung und Förderung als auch verbindliche Ergänzungsangebote für Kinder mit zusätzlichem Sprachförderbedarf von besonderer Relevanz. Die individuelle Diagnostik des Sprachstands ist dabei eine wichtige Voraussetzung und Komponente einer qualitativ hochwertigen sprachlichen Bildung. Erfolgreiches sprachpädagogisches Handeln erfordert Adaptivität an die individuellen sprachlichen Kompetenzen, so dass die Lern- und Unterstützungsangebote an diese anschließen und alle Kinder erreicht werden können.

Neben der Frage der grundsätzlichen Einführung von Sprachdiagnostik für alle Kinder ist die verbindliche Verknüpfung mit nachhaltigen Sprachfördermaßnahmen zu diskutieren. Die bislang eingeführten Diagnostikverfahren setzen in der Regel deutlich zu spät ein, um noch eine intensive und effektive Förderung für einen besseren Schulstart zu ermöglichen. Auch werden nicht immer alle Kinder durch die Diagnostik erreicht. Eine besondere Herausforderung stellen diejenigen Kinder dar, die keine Kita besuchen. Eine verbindliche Überführung in Fördermaßnahmen wird deutschlandweit nicht immer umgesetzt.

Mehr Informationen dazu im Gutachten ab S. 70ff.

Wie kann die Lesekompetenz von Anfang an gezielt gefördert und systematisch gesteigert werden?

Um alle Kinder optimal zu fördern und Rückstände zeitnah aufzuholen, benötigen die Grundschulen ein verbindliches Konzept, das eine bewusste Differenzierung und Kombination von erstens einem qualitativ hochwertigen (Lese-)Unterricht im regulären Klassenkontext für alle Schüler*innen vorsieht, zweitens ein Aufholen von frühzeitig erkannten (lesebezogenen) Kompetenzrückständen in Kleingruppen sowie drittens eine individuelle Unterstützung von Schüler*innen mit besonderem Förderbedarf (siehe Abbildung 9) beinhaltet.

Mehr Informationen dazu im Gutachten ab S. 115ff.

Wie können schwache Lernende verbindlich gefördert werden?

Auffällig für die Bildungsentwicklungen ist, dass nicht nur die im Durchschnitt erreichten Leistungen insgesamt abgenommen, sondern auch die Heterogenität (Streuung) der von den jungen Heranwachsenden erzielten Bildungsleistungen zugenommen hat. Besorgniserregend ist die Tatsache, dass derzeit die prozentualen Anteile an Jugendlichen im unteren Leistungsbereich besonders ausgeprägt sind. Mit 25 bis 30 Prozent aller 15-Jährigen befinden sich sehr nennenswerte Anteile in einem niedrigen Leistungsbereich, der eine zukünftige Teilhabe am Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft sehr schwierig machen wird. Aber auch der obere Leistungsbereich ist beachtenswert, da der Anteil an Jugendlichen mit ausgeprägt hohen Kompetenzen über die letzten 25 Jahre tendenziell auch eher zurückgegangen ist beziehungsweise stagniert und vor allem an den Gymnasien immer weniger Schüler*innen in diesen Spitzengruppen vertreten sind. Mit der Zunahme der Leistungsstreuung verbunden ist auch eine nach wie vor sehr enge Kopplung zwischen sozialer Herkunft und Migrationserfahrungen und den erworbenen Basiskompetenzen.

Zur Bearbeitung dieser Problemstellungen fordert der Aktionsrat Bildung die Implementierung von gezielten Förderprogrammen für Einrichtungen mit hohem Anteil an Lernenden mit niedrigen Basiskompetenzen sowie bei signifikant heterogenen Ausgangslagen der Lernenden. Zudem wird eine Ausdehnung und Flexibilisierung der verbindlichen Lernzeiten empfohlen.

Mehr dazu auf S. 134ff und 152ff.

Gutachten 2025

Bildungsleistung durch Verbindlichkeit

Die sinkenden Bildungsleistungen deutscher Schüler*innen können nur teilweise durch die veränderte Zusammensetzung der Schülerschaft erklärt werden. Der Aktionsrat Bildung analysiert in seinem Gutachten Gründe für den Abwärtstrend und fordert mehr Verbindlichkeit im gesamten Bildungssystem.

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vbw Podcast

#27: Bildungsleistung durch Verbindlichkeit

Wie können Bildungsleistungen wieder steigen? Der Aktionsrat Bildung fordert mehr Verbindlichkeit durch vergleichbare Standards und höhere Eigenverantwortlichkeit aller Akteure. Katharina Muth spricht in dieser Folge mit Prof. Dr. Bettina Hannover sowie mit den Schulleiter*innen Kerstin Krins und Helmut Klemm.

Zum Podcast
Link führt auf das Podcast-Portal des Anbieters Podigee
Rückblick – Kongress „Bildungsleistung durch Verbindlichkeit"

Die Leistungen deutscher Schüler*innen sind in den letzten zehn Jahren unter das Niveau des PISA-Schocks im Jahr 2000 gesunken. Der Aktionsrat Bildung stellt in seinem diesjährigen Gutachten als Erklärungsansatz das Thema Verbindlichkeit in den Mittelpunkt. Als Verbindlichkeit wird hier die abgestimmte, verantwortungsvolle Zusammenarbeit aller Beteiligten vom Staat über Bildungsinstitutionen bis zu jedem Einzelnen verstanden. In dem heutigen Kongress wurde dieses Gutachten mit dem Titel „Bildungsleistung durch Verbindlichkeit" vorgestellt.

Die Sicht der Wirtschaft

vbw Präsident Wolfram Hatz betonte in seiner Rede, dass die Lernenden mit steigendem Lebensalter in zunehmendem Maße Verantwortung für die eigene Bildungsbiografie übernehmen müssen. Er betonte zudem die Bedeutung dieser Verantwortungsübernahme für die Wirtschaft: „Deutlich zielführender als freundliche Unverbindlichkeit ist Klartext. Denn das Problem mit der Unverbindlichkeit ist, dass sie zu vieles offen lässt und sie keine Transparenz schafft über Erfolge und Misserfolge.“

Die Sicht der Wissenschaft

Unsere Expert*innen haben in ihren Vorträgen verdeutlicht, dass über alle Bildungsphasen hinweg Handlungsbedarf besteht.

Im Rahmen der Veranstaltung wurde deutlich: Um die Bildungsqualität zu steigern, ist es deshalb von entscheidender Bedeutung, die Kernkompetenzen Lesen, Schreiben und Rechnen konsequent zu fördern, die Evidenzbasierung des Bildungssystems zu stärken und das pädagogische Personal weiterzubilden.

Herr Prof. em. Dr. Rudolf Tippelt, Lehrstuhl für Allgemeine Pädagogik und Bildungsforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Mitglied des Aktionsrats Bildung, führte in die Inhalte des Gutachtens ein. Er plädierte für verbindliche Qualitätsstandards, die durch ein lückenloses Monitoring bis auf die Ebene der Individuen auch mit Konsequenzen im Sinne einer verbindlichen Förderung der Individuen, verknüpft werden müssen. Die Inhalte des Gutachtens wurden durch drei weitere Mitglieder des Aktionsrats Bildung vorgestellt.Prof. Dr. Nele McElvany, Geschäftsführende Direktorin des Instituts für Schulentwicklungsforschung (IFS), Technische Universität Dortmund ging auf die Bildungsphasen frühe Bildung und Primarstufe ein. Sie betonte zunächst auf die hohe Bedeutung der beiden Bildungsphasen für alle nachfolgenden Bildungsphasen – insbesondere auch mit Blick auf das Thema Sprachförderung. Als ein zentrales Ziel beider Bildungsphasen nannte Sie die Stärkung der Kernkompetenzen in den Kernfächern Deutsch und Mathematik. Prof. Dr. Tina Seidel, Direktorin des TUM Center for Educational Technologies München, erläuterte die Bedeutung des Themas „Verbindlichkeit“ für die Sekundarstufe und die Hochschule. Für den Bereich der Sekundarstufe hob sie die Bedeutung eines kontinuierlichen Bildungsmonitorings hervor, aus dem in der Folge auch verbindliche Konsequenzen für die Bildungspraxis abgeleitet werden müssen.

Mitschnitte der Programmpunkte

Wolfram Hatz

Präsident vbw – Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V.

Prof. em. Dr. Rudolf Tippelt

Lehrstuhl für Allgemeine Pädagogik und Bildungsforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München

Prof. Dr. Bettina Hannover

Leiterin des Arbeitsbereichs Schul- und Unterrichtsforschung im Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie, Freie Universität Berlin

Prof. Dr. Nele McElvany

Geschäftsführende Direktorin des Instituts für Schulentwicklungsforschung (IFS), Technische Universität Dortmund

Prof. Dr. Tina Seidel

Direktorin des TUM Center for Educational Technologies, Technische Universität München

Podiumsdiskussion

Teilnehmer*innen der Podiumsdiskussion

  • Anna Stolz MdL, Bayerische Staatsministerin für Unterricht und Kultus, München
  • Ralf Neugschwender, Bundesvorsitzender, Verband deutscher Realschullehrer, München
  • Prof. Dr. Ludger Wößmann, Professor für Volkswirtschaftslehre, Ludwig-Maximilians-Universität München, Leiter des ifo Zentrums für Bildungsökonomik, München
  • Dr. Christof Prechtl, stv. Hauptgeschäftsführer, vbw – Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V., München

Moderation: Christian Nitsche, Bayerischer Rundfunk, München 

Stimmen aus der Praxis

Ein zentrales Ziel im Bildungssystem ist der verbindliche Erwerb elementarer Kernkompe­tenzen im Sinne grundlegender Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben und Rechnen. Doch auch die alters- und entwicklungsabhängige Stärkung der Eigenverantwortung der Lernenden bei der Gestaltung ihrer Bildungsbiografien muss im Blick behalten werden. Im Rahmen des Kongresses wurden zwei Schulen vorgestellt, die sich durch die engagierte und verbindliche Förderung ihrer Schüler*innen auszeichnen.

Eichendorffschule, Erlangen

Rothenburg Grundschule, Berlin